Wann bist du nach Berlin gekommen?
Anfang 2013 bin ich mit 43 Jahren nach Berlin gekommen. Vorher habe ich 11 Jahre in der Nähe von London gelebt und bin ohne zu zögern innerhalb von 3 Monaten von Neapel dorthin ausgewandert, nachdem ich einen Arbeitsvertrag bekam.
Ich wollte etwas Anderes erleben und hatte mich deshalb im Ausland beworben. Das war die erste Arbeitsmöglichkeit, die ich bekam und deshalb dachte ich nicht lange nach. Es war mein erster richtiger Job als technische Übersetzerin. In Italien hatte ich vielleicht 6 oder 7 Jahre in verschiedenen Jobs gearbeitet.
Ausgewandert bin ich hauptsächlich wegen der Arbeit, aber auch aus persönlichen Gründen. Ich fand die Mentalität in Italien provinziell und altmodisch und habe mich immer eingeengt gefühlt, obwohl ich meine Heimat sehr liebe. Meine Freunde und Verwandte leben noch dort, aber irgendwie fühlte ich mich immer als Außenseiterin. Ich war als Frau wegen meines „free Spirit“ als durchgeknallt und unberechenbar abgestempelt, aber ich habe mich dabei immer so frei gefühlt, war noch nie verheiratet und habe keine Kinder.
Und in Berlin fühlst du dich besser aufgehoben?
Ich fühlte mich anfangs besser aufgehoben, aber seit einigen Jahren nicht mehr. Es hat sich nach meinem Empfinden verschlechtert - in jeder Hinsicht. Und ich muss auch zugeben, die Situation hat sich durch die Zuwanderung der Flüchtlinge verschlimmert. Nichts gegen Kriegsflüchtlinge, aber irgendwie fühle ich mich unsicher in der Stadt. Ich wohne im Prenzlauer Berg. Es ist dort relativ sicher, aber ab einer gewissen Uhrzeit traue ich mich nicht mehr aus dem Haus. Man hört jeden Tag immer so viele schlimme Dinge, die in Berlin passieren.
Vorher kannte ich nur Westdeutschland, meine Mutter war Deutsche, deshalb habe ich als Kind viel Zeit bei meinen Großeltern im Hamburger Umland verbracht. Deutsch gesprochen habe ich aber nur mit meinen Großeltern, als Au Pair und bei Besuchen bei meinen deutschen Freunden. 1995 arbeitete ich drei Monate für eine Baufirma als Übersetzerin.
Berlin war ein kultureller Schock, die Unterschiede zwischen West und Ost finde ich sehr groß. Ich habe Schwierigkeiten einen Job zu finden, und bin jetzt seit 3 Jahren arbeitslos. Während der Pandemie habe ich sehr gelitten und war für längere Zeit in Kurzarbeit. Als ich wieder anfing zu arbeiten, hatte ich einen Zusammenbruch und wurde in der Zeit auch operiert. Es ging mir nicht so gut und dadurch habe ich auch meinen Job verloren. Es war eine Abwärtsspirale, aus der ich nicht mehr herausgekommen bin. Seit 3 Jahren bin ich psychisch und körperlich angeschlagen, ich hoffe eine berufliche Rehabilitierungsmaßnahme ermöglicht es mir einen neuen Job zu finden. Zuletzt war ich Sachbearbeiterin in einem kleinen Unternehmen und habe deutsch, italienisch und englisch übersetzt. Das hat mir gut gefallen, es war weniger technisch und sehr abwechslungsreich.
Hast du eine Community in Berlin?
Ich habe einige Bekannte, aber keinen Freundeskreis und gehöre auch keiner Community oder Gemeinschaft an. In England habe ich auf dem Land gelebt, Berlin war für mich ein kultureller Schock. In England kam ich mit den Leuten besser klar und hatte einen Freundeskreis. Auch mit den Kollegen kam ich super klar, was in Deutschland nicht der Fall ist.
Was vermisst du am meisten an Italien?
Muscheln und Fisch aus dem Mittelmeer, die sind hier schwer zu finden oder ungenießbar. Manchmal auch das Wetter. Da es in Süditalien im Sommer jetzt relativ trocken und sehr warm geworden ist, vermisse ich das eigentlich nicht so richtig. Aber das Meer fehlt mir, ich habe meine ganze Kindheit am Strand verbracht – es ist ein Teil von mir. Mein Freund liebt die Ostsee, aber wir bereuen es jedes Mal hingefahren zu sein.
Am meisten vermisse ich meine Freunde, es ist schwer hier neue Freundschaften zu schließen, wenn man älter ist. Es gibt Freundschaften aus meiner Jugend, die dauern ein ganzes Leben, obwohl ich sie nur alle paar Jahre sehe. Die Leute, die ich hier kennengelernt habe, sind eigentlich nur flüchtige Bekanntschaften. Ich kenne eine Gruppe Italiener, die sind aber alle jünger als ich, die Unternehmungen interessieren mich nicht so.
Was gibt dir in Berlin ein gutes Gefühl?
Ich fühle mich in meiner kleinen Bude wohl und lebe fast wie eine Studentin mit alten Möbeln. Auch in meinem Kiez fühle ich mich wohl. Da sind einige kleine Cafés und kleine Läden, die ich mag, da geh ich gerne spazieren.
Was bedeutet „zuhause“ für dich?
Zuhause bedeutet für mich Familie und Freunde. Ich habe keine eigene Familie, aber ich bin seit über 10 Jahren mit einem geschiedenen Mann, der eigene Kinder hat, in einer Beziehung. Mein Freund, mein eigenes zu Hause und ein paar Bekanntschaften - das ist alles was mir momentan Sicherheit gibt.
Meine Eltern sind beide verstorben, meine Schwester lebt auch hier in Deutschland, aber wir haben kaum Kontakt. Meine echte Familie ist eigentlich in Neapel. Dort bin ich sehr selten, da ich die nicht die finanziellen Möglichkeiten habe. Das letzte Mal war ich vor 4 Jahren dort. Natürlich versuchen meine Freunde in Italien mich auch ein bisschen aufzumuntern, wenn ich deprimiert bin oder so, das ist alles was ich so habe und woran ich festhalte.
Empfindest du dich als Teil der Gesellschaft in Deutschland?
Nein, ich fühle mich komplett fehl am Platz. Ich habe beruflich einige schlechte Erfahrungen gemacht habe, seitdem ich hier bin. In England hatte ich nicht so viele Schwierigkeiten einen Job zu bekommen, weil in England Qualifikationen nicht so berücksichtigt werden wie in Deutschland. Ich habe das Gefühl hier in Deutschland ist das alles schwieriger für uns Ausländer. Selbst wenn wir die deutsche Sprache beherrschen gibt es so viele Hindernisse! Deswegen habe ich die Hoffnung aufgegeben, ob ich mich hier jemals wohl fühlen werde.
Eine Rückkehr nach England oder Italien ist ausgeschlossen, vor allem, weil ich eine feste Beziehung habe und diese nicht aufgeben will. Wir denken auch darüber nach, in Zukunft zusammen zu leben. Das hängt aber auch davon ab, wie es hier abläuft, ob ich einen Job bekomme oder nicht.
Was ist für dich typisch deutsch?
Es gibt viele Sachen, die typisch deutsch sind, zum Beispiel Bockwurst mit Bier oder Currywurst, aber das ist nicht so mein Ding.
Ich hatte immer eine Verbindung nach Deutschland, aber zu Ostdeutschland hatte ich überhaupt keinen Bezug. Das war für mich Neuland. Ich finde die Leute dort, wenn ich das sagen darf, ein bisschen grob, mit großer Fresse und manchmal ein bisschen unfreundlich. Ich will aber nicht alle über einen Kamm scheren. Ich kenne auch sehr, sehr nette Leute, bin aber immer vorsichtig, weil ich gerne offen rede und das kommt manchmal falsch rüber. Politisch bin ich nicht engagiert und will nicht darüber reden. Die Welt wäre für mich ein besserer Ort, wenn es keinen Krieg, keine Inflation und es untereinander mehr Freundlichkeit geben würde.
Was bedeutet Glück für dich?
Glück bedeutet für mich, am Meer zu sein, mit mir im Reinen und zufrieden zu sein. Es gibt für mich nur ein Lebensmotto: Leben und leben lassen.
Was war dein Kindheitstraum?
Das einzige, das ich wirklich mochte als ich klein war, war Tanzen! Ich wollte Ballerina werden. Mit 12 war ich in einer Tanzakademie, da wurden meine Träume zerstört. Ich habe mein ganzes Leben immer leidenschaftlich in Clubs getanzt und auch Tanzkurse besucht, aber ich glaube, mir dadurch Knie und Rücken kaputt gemacht zu haben. Deswegen tanze ich seit 10 Jahren nicht mehr.
Welche deiner Träume sind in Erfüllung gegangen?
Der einzige Wunsch, der sich erfüllt hat, ist Italien zu verlassen. Ich hätte nie gedacht, dass ich so spät meine Heimat verlassen würde, weil ich schon 32 Jahre alt war. Ich wollte weg. Es war mir alles zu eng geworden. Das Leben da unten ist nicht einfach: es ist sehr chaotisch, viel Kriminalität usw. das hat mir nie gefallen. Ich liebe meine Heimat, mein Herz gehört meiner Stadt, aber dort leben ist eine andere Sache.
Was ist so besonders an Neapel?
Die warmherzigen Leute und ihre Gastfreundlichkeit. Das Essen! Die Stadt ist wunderschön, aber es ist dort alles wirklich unorganisiert und sehr schwierig, auch die Bürokratie.
Diese Schwierigkeiten gibt es aber auch in Deutschland…
Gibt es noch Träume, die du dir erfüllen möchtest?
Ich würde gerne Deutschland verlassen, aber es gibt keine Möglichkeit. Mein Freund will Deutschland anscheinend nicht verlassen. Er hat drei Kinder. Ich habe das mit dem Auswandern schon oft erwähnt, aber er sagt: „Wo willst du leben? Es ist nirgendwo auf dieser Welt sicher!“ Ich versuche es immer wieder, denn ich habe das Gefühl hier niemals meinen Platz zu finden. Ich bin unglücklich und das schon seit Jahren. Ich würde lieber in Zukunft in einem internationalen Umfeld arbeiten. Da fühle ich mich am Wohlsten.
Ich wünsche mir, dass ich etwas in Berlin ändert, das die Leute anders miteinander umgehen.