Mein Name ist Pinelopi. Ich komme aus Athen in Griechenland und bin im November 2019 nach Berlin gezogen. Ich bin wegen der wirtschaftliche Situation in Griechenland hierher gezogen. Ich war bereits 30 Jahre alt und hatte viel gearbeitet, doch nicht das was ich wollte und das was ich studiert habe. Ich habe Physiotherapie studiert, schlug mich aber wie viele meiner Freunde und Bekannte mit
Gelegenheitsjobs durch. Als angestellte Physiotherapeutin bekam ich am Ende des Monats oft mein
Gehalt nicht. Entweder man akzeptierte das oder nicht. Wenn viele Menschen Arbeit suchen, ist man schnell ersetzbar. Mit Anfang 30 wollte ich nicht mehr bei meinen Eltern wohnen. Ich liebe
sie, aber ich wollte mein eigene Welt gestalten. Mit einem damaligen Durchschnittslohn von 600€ waren die hohen Mieten und Lebensmittelkosten, die dort sogar höher sind, als hier, überhaupt nicht zu
finanzieren. An eine eigene Wohnung war gar nicht zu denken, eine Familie zu gründen, mit so wenig Geld sehr schwierig.
Es kommen viele Menschen aus China und Russland und kaufen Immobilien auf. Die Griechen selbst können sich das nicht mehr leisten. Nach London zu gehen wäre sicherlich aufgrund der Sprache leichter gewesen. Aber das wollte ich nicht. Ich hatte so ein Gefühl. Es stand für mich fest, dass ich nach Berlin will. Hier ist immer etwas los, genauso wie in Athen. Es ist multikulti, das mag ich.
Als erstes hatte ich Kontakt zu einer Zeitarbeitsfirma in Berlin aufgenommen. Sie haben mir gesagt, welche Voraussetzungen ich erfüllen muss. Damit ich hier als Physiotherapeutin arbeiten kann musste ich vor allem die Sprache erlernen. Die Verständigung mit den Patienten und Patientinnen ist sehr wichtig. Dann habe ich in Athen zwei Jahre lang einen Deutschkurs besucht und mit dem Erhalt meiner B2-Urkunde
meinen Flug nach Berlin gebucht.
In der ersten Woche musste ich hier viel organisieren. Zum LAGeSo (Landesamt für Gesundheit und Soziales), für meine Berufserlaubnis, mich anmelden und zur Vertragsverhandlung mit der Zeitarbeitsfirma.
Dann bin ich zurück nach Athen bis ich von der Zeitarbeitsfirma kontaktiert wurde, dass sie eine Arbeit für mich haben. Im November 2019 war es dann soweit. Es war sehr kalt, ich hatte große Angst und Stress, Zweifel und Unsicherheit. Ich kam alleine an, kannte das System und die Menschen nicht. Die Sprachbarriere kam noch hinzu, obwohl ich mein B2-Level erfolgreich abgeschlossen hatte. Man lernt dort ja nur für die Prüfung. Es werden keine Konversationen geübt. Eine Unterhaltung mit Menschen im Alltag ist etwas vollkommen anderes. Ich war sehr einsam und befand mich nicht in meiner Komfortzone, musste erst aus ihr heraustreten, um neue Freunde kennenzulernen. Ich habe in dieser Zeit täglich mit meiner Mutter telefoniert und viel geweint. Meine Mutter hat mir sehr geholfen. In einem Telefonat rat sie mir „Warte mal, du hast alles dafür getan, du hast die Sprache gelernt, du wolltest etwas Neues versuchen. Hab etwas Geduld! Sag dir: ich bleibe
einen Monat und schaue wie das ist. Wenn der Monat vorbei ist, sagst du dir, okay, ich bleibe noch zwei weitere Monate. Du musst dir kleine Ziele setzen und nicht auf den großen Berg schauen. Der erscheint zu hoch. Und wenn das nicht funktioniert, hast du immer noch deine Familie hier und
kannst jederzeit zurückkommen.“ Die größte Herausforderung nach meiner Ankunft war, dass ich ohne
Anmeldung keine Arbeit bekam und ohne Arbeit keine Anmeldung. Ohne Arbeit konnte ich mir
keine Wohnung leisten und in meiner WG konnte ich mich nicht anmelden. Ich hatte keine Ahnung wie die Bürokratie hier funktioniert und alle Behördengänge alleine gemacht. Dabei wurde meistens rücksichtslos deutsch mit mir gesprochen. Ich hatte Angst, dass ich etwas Wichtiges nicht verstehe und auf Nachfragen, wie so oft, mit Abweisung reagiert wird. Später kam der Stress mit der Anerkennung meines Berufsabschlusses
hinzu. Die Zeitarbeitsfirma teilte mir mit, dass ich zwar arbeiten kann, bis die Anerkennung erfolgt, allerdings für einen geringeren Lohn. Nach circa einem Jahr erhielt ich eine Ablehnung vom LAGeSo. Mein Diplom sei
nicht gleichwertig mit der Ausbildung hier. In Griechenland ist die Physiotherapie ein vierjähriger Studiengang und andere Kollegen und Kolleginnen aus Griechenland erhielten für den gleichen Abschluss eine
Anerkennung. Ich dagegen wurde aufgefordert, weitere Lehrgänge zu belegen. Das fand ich willkürlich und dreist. Ich habe eine griechische Rechtsanwältin damit beauftragt, deren
Spezialgebiet das Arbeitsrecht und die Anerkennung ausländischer Diplome ist und ging in Widerspruch. Das Amt verlangte weitere Unterlagen von meiner Universität. Ich musste diese aus Griechenland besorgen und übersetzen lassen. Das LAGeSo hat alleine für die erneute Prüfung und Bearbeitung noch einmal 500 € verlangt. Die Übersetzungen, die Bearbeitungsgebühr und die teure Anwältin, das waren alles zusätzliche Kosten, die ich auf mich nahm. Deutschland sucht zwar dringen Fachkräfte aber macht es den Menschen
mit guten Ausbildungen so schwer. Trotz aller Hürden, sind die Chancen hier aber immerhin höher als in
Griechenland. Dort geht es nur mit Geld und Unterstützung. Es gibt immer eine Tür, die verschlossen bleibt. Deswegen verlassen so viele junge Leute das Land. Migranten hätten in Griechenland gar keine Chance. Meiner Ansicht nach ist Griechenland sehr schön um dort einen Urlaub zu verbringen, aber wenn du dort bleibst, entscheidest du dich dafür, dass deine Träume sterben.
Ich habe noch so viele Wünsche, weil ich jetzt hier die Möglichkeit habe, neue Träume und neue Ziele wirklich zu erreichen. Du kannst hier deine Zukunft gestalten, es bleibt kein Wunschdenken. Ich bekomme hier viel Wertschätzung bei der Arbeit. Sowohl von den Patienten als auch vom Kollegium. Wir sind ein tolles Team und unternehmen nach der Arbeit gerne etwas zusammen und machen auch Fortbildungen. Ich bekomme das Gefühl, dass ich so, wie ich bin, genüge. Das ist ganz, ganz wichtig im Alltag. Ich empfinde mich als Teil der Gesellschaft. Auch das Gefühl, dass ich nicht allein bin, weil es hier so viele Menschen aus anderen Ländern gibt, die mit den gleichen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Man kann sich gegenseitig helfen, das mag ich. Nach nunmehr dreieinhalb Jahren kann ich sagen, dass ich mich hier sehr wohl fühle.
Meine Freunde und meine Familie vermisse ich hier, genauso wie die Sonne und das Meer. Manchmal vermisse ich auch dieses Gefühl, dass die Menschen, obwohl sie kein Geld haben und so viele Probleme, freundlich, offen und hilfsbereit sind. Ich vermisse auch, die Spontanität bei Verabredungen. Du musst hier immer einen Termin machen, um dich mit Freunden und Bekannten zu treffen. Ich bin sehr froh, hier zu sein und fühle mich sehr sicher. Ich kann hier zum Beispiel am Abend als Frau ganz alleine unterwegs sein. In Griechenland hatte ich immer Angst. Hier habe ich nie Angst oder nur ganz selten. Das ist ein wichtiger Punkt für mich.
Sehr typisch hier, ist, dass alles per Post kommt, so viel Papier.