„Ich fühle mich deutsch“
Ich bin Edwige und 34 Jahre alt. Meine Geschwister und ich wurden in der Demokratischen Republik Kongo geboren. Dort verbrachte ich auch die ersten acht Jahre meines Lebens. Es ging uns dort sehr gut. Wir hatten ein Haus und besuchten die Privatschule. Mein Vater arbeitete in der Buchhaltung einer Diamantenmine. Aber die Zeiten änderten sich. Mein Vater war, laut des Regimes, in einer verkehrten Partei und wurde politisch verfolgt. Er musste untertauchen und wurde per Haftbefehl gesucht. Da man ihn nicht auffinden konnte, wurde meine Mutter verhaftet und für 2 Monate eingesperrt. Es war klar, dass sich an dieser Situation nichts ändern würde, also beantragten meine Eltern Asyl bei der Außenstelle der Ausländerbehörde in unserer Stadt. Wir bekamen die Genehmigung zur Ausreise allerdings nur für meine Eltern, meine jüngere Schwester und mich. Meine zwei älteren Geschwister durften nicht mit uns ausreisen und mussten bei meinen Großeltern bleiben. Es dauerte vier Jahre bis auch sie nach Deutschland kommen durften. Wir kamen zuerst nach Köln und wurden dann innerhalb von ein paar Monaten quer durch Deutschland, von einem Asylheim ins nächste, geschickt. Unsere erste Wohnung hatten wir dann in Neu-Münster. In unserer Straße fand ich sehr schnell Anschluss zu anderen Kindern. Als erstes kam ich in eine Auffangklasse, heute würde man Willkommensklasse sagen, um Deutsch zu lernen. Anschließend wurde ich in die normale Klasse integriert. Mein Vater bestand darauf, dass zu Hause nur Deutsch gesprochen wurde. Wir erhielten durch die Schule, aber auch von den Nachbarn, nur positive Motivation und viel Unterstützung. Damit machte man es uns leicht, sich einzugewöhnen und sich wohl zu fühlen. Getrübt wurde es durch die Abwesenheit unserer größeren Geschwister, die wir zurücklassen mussten. Probleme gab es jedoch von staatlicher Seite. Meinem Vater wurde die Arbeitserlaubnis verweigert. So waren wir, gegen unseren Willen, gezwungen von der Sozialhilfe zu leben. Nur meine Mutter bekam eine Arbeitserlaubnis. Sie hat dann auch immer gearbeitet. Trotzdem machte ich das Abitur und studierte BWL. Das nächste Problem stand an als meine jüngere Schwester und ich volljährig wurden. Wir sollten ausgewiesen werden. Obwohl ich hier zur Schule gegangen bin und studierte, bekam ich nur eine Duldung. Wenn ich die Stadt verlassen wollte, brauchte ich von staatlicher Stelle eine Sondergenehmigung. Die Schikane der Behörden ging sogar soweit, dass ich für eine Klassenfahrt nach Polen, die falschen Papiere ausgestellt bekam und bei der Einreise nach Polen verhaftet wurde. Nach 24 Stunden Haft wurde ich zurück geschickt.
Mein Lehrer begleitete mich bis nach München, von da aus musste ich alleine weiter. Er musste zurück zu den Klassenkameraden. So sehr wir von staatlicher Seite schikaniert wurden, so sehr halfen uns Menschen aus unserer Umgebung und kämpften mit uns zusammen. Nach weiteren 3 Jahren erhielt ich meine Aufenthaltsgenehmigung durch die Härtefallregelung. Mein Asylverfahren hat 13 Jahre gedauert. Seit 2007 habe ich die deutsche Staatsangehörigkeit, wie alle in unserer Familie. Vor 1 ½ Jahren bekam ich bei Top Shop, einem britischen Unternehmen, eine Anstellung und bin dort für das operative Geschäft in Europa zuständig; dadurch auch sehr viel in Europa unterwegs. Davor arbeitete ich 6 Jahre bei H&M. Ich spreche Deutsch, Französisch, Englisch und Kongolesisch. Mein Englisch vervollständigte ich bei einem einjährigen Aufenthalt in den USA.
Vor zwei Jahren war ich das erste Mal wieder im Kongo und sah meine Großmutter nach 20 Jahren das erste Mal wieder. Was mir auffiel war, dass die Menschen dort mit sehr viel weniger auskommen müssen aber freundlicher und glücklicher sind. Befremdlich war für mich, dass ich mitten unter Millionen von Menschen war, die dieselbe Hautfarbe wie ich hatten. Ich bin sehr liberal, aber mit kongolesischen Traditionen, aufgewachsen. Die Person, die ich heute bin, habe ich Deutschland zu verdanken. Die Hilfe, die wir von all den Menschen hier bekommen haben und ihr soziales Engagement, haben mich geprägt. Ich bin sehr in der kongolesischen Gemeinde engagiert und übersetze dort Predigten.