August 2023
Mein Name ist Ben. Ich bin in Israel, in der Nähe der Hauptstadt Tel-Aviv, aufgewachsen. Im August 2017 bin ich von Paris nach Berlin gekommen.
In den Neunziger- und Nullerjahren waren die Spannungen zwischen den Palästinensern und Israelis sehr massiv. Es gab immer wieder Anschläge in Bussen. Für mich war die Verzweiflung, die die Attentäter zu ihren Taten trieb, so offensichtlich. Ich konnte nicht verstehen, warum das von niemandem sonst wahrgenommen bzw. thematisiert wurde. Es ist klar, dass ich vor diesem Hintergrund und mit dieser Sichtweise dem Militärdienst nichts abgewinnen konnte. Dennoch wurde ich nach meinem Schulabschluss zum Militär berufen. Zunächst übernahm ich dort nach meiner Grundausbildung verschiedene Tätigkeiten in der Logistik. Ich empfand dem Militärdienst gegenüber eine große Ablehnung und distanzierte mich demonstrativ auch nach außen davon. Ich wollte dort einfach mit niemandem kooperieren. Damit machte ich mir bei meinen Vorgesetzten und Kameraden keine Freunde. In der Folge wurde ich zunächst mit einer Art Gartenarbeit beauftragt und letztlich zum Pförtner berufen, was im Grunde die niedrigste Aufgabe dort war. Nach kurzer Zeit erreichte ich mit meinem gezielten Fehlverhalten eine Suspendierung. Meine Eltern mussten sich damit einverstanden erklären, dass ich das Militär früher verließ. Sie hatten keine Meinung zu meiner Entscheidung, einen Ausschluss aus dem Militärdienst auf diese Art und Weise zu erreichen. Doch sie wussten: Ich folge einfach meinen Gefühlen.
Schwieriger war die damalige Situation für meinen Großvater, der im zweiten Weltkrieg noch für die Rote Armee gegen Nazi-Deutschland kämpfte. Obwohl der Krieg beendet war, erfuhr er weiterhin Antisemitismus und realisierte schließlich, dass dieses Unheil noch immer nicht vorbei war. So floh er als überzeugter Zionist aus der damaligen Sowjetunion vor dem anhaltenden Antisemitismus und dem Kommunismus nach Israel. Dennoch schwieg er zu meiner Entscheidung.
Ich war in Tel-Aviv in der Punk-Szene verwurzelt und arbeitete hauptsächlich in der Gastronomie, zumeist in Restaurants.
Mein Vater sagte immer zu mir: „Finde etwas, dass du liebst und versuche in diesem dein Bestes zu geben. Das ist der Schlüssel zum Erfolg: Wenn du das, was du tust, nicht liebst, wirst du darin scheitern.“ Ich fragte mich also, was ich neben der Musik noch liebte und so kam ich zur Gastronomie. Mein Vorbild war meine Mutter. Sie war ihr Leben lang Hausfrau. Sie erzog uns Kinder und kümmerte sich um den Haushalt. Durch sie hatte ich eine Verbindung zum Kochen und erkannte meine Leidenschaft dazu.
Durch viel Glück hatte ich Kontakte zu einem sehr bedeutenden Koch und konnte sechs Jahre in seinen Lokalitäten in der gehobenen Küche arbeiten. In dieser Zeit fokussierte ich mich auf das Backen und wurde zum Bäcker.
Jedoch ohne offizielle Ausbildung. Meine Eltern hatten mein Leben lang für eine gute Ausbildung für mich gespart und so überredete mich meine Mutter nach Paris zu gehen.
Da ich ohnehin das Land verlassen wollte, folgte ich ihrem Wunsch. Paris ist für mich die Hauptstadt des Backens und der europäischen Kultur. Darum machte ich eine achtmonatige Weiterbildung in einer Kochschule – einer sehr alten Institution, in der ein paar der besten Köche Frankreichs ihr Handwerk an die folgenden Generationen weitergeben. Anschließend machte ich noch vier Monate Praktika in verschiedenen Lokalitäten. Nach einiger Zeit empfand ich Paris jedoch als viel zu teuer und überfüllt, und mein Lebensstil passte nicht zu dieser Stadt. So verließ ich Paris und lebte vier Monate an anderen Orten und entschied mich letztlich nach Berlin zu kommen. 2010 kam ich das erste Mal mit meinem Bruder und seiner Band nach Berlin. Einer meiner ersten Eindrücke in Berlin war Schnee. Alles war bedeckt mit Schnee. Am Schlesischen Tor warf ich mich auf den Boden und machte meinen ersten „Schneeengel“. Ich erlebte Berlin als beeindruckend. Hauptsächlich wegen der Menschen und deren Selbstverständlichkeit im Umgang miteinander. Die Leute hier waren mit einer, für mich faszinierenden, Energie unterwegs. Ich empfand sie als entspannt und hatte auch deshalb immer wieder die Möglichkeit interessante Gespräche zu führen. Sprache ist für mich ein mächtiges Werkzeug, und diese auch aktiv zu sprechen, ist mir sehr wichtig.
Meine Mutter ist Rumänin, auch sie floh vor dem Kommunismus. Darum wuchs ich mehrsprachig mit Hebräisch und Rumänisch auf. Durch meinen Großvater und meinen Vater, welche beide aus dem heutigem Lettland stammen, konnte ich auch etwas Russisch verstehen. Außerdem hatte ich eine gute englische Sprachausbildung.
Es fällt mir schwer, mich für die deutsche Politik zu interessieren. Die Berichterstattung setzt sehr gute und spezielle Deutschkenntnisse voraus, die schwer zu erlernen sind, aber mein Interesse wächst langsam. Ich werde sensibler, was meine Umwelt anbelangt. Meiner allgemeinen politischen Anschauung bin ich immer treu geblieben.
Im Moment sehe ich mich und meinen Platz in Berlin. Auch wenn ich nicht weiß, wie lange ich hier in Berlin bleiben kann, sehe ich meine Zukunft erst einmal hier.
Für mich ist das Gefühl der Heimat eines, welches ich stets um mich herum zu erzeugen und zu erschaffen versuche. Freundschaften und Beziehungen sind das, was ich als Heimat empfinde.
Wenn ich an Israel denke, vermisse ich das Essen sicherlich am meisten. Nicht unbedingt die Qualität, aber die Bedeutung, die Essen dort hat. Die schönen Erinnerungen an das Essen im Kreise meiner Familie in Israel hat mich sehr geprägt. Darum ist es mir heute wichtig, genau das in meinem Umfeld weiterzuführen. In Berlin habe ich keine ausgeprägte Ess-Kultur erwartet. Aber in den letzten Jahren beginnt sich in dieser Hinsicht in Berlin viel zu verändern. Zu diesem Prozess möchte ich aktiv meinen Beitrag leisten und bei der Gestaltung der Stadt mitwirken.
Ich hatte lange den Traum ein guter Bäcker zu werden und mein Amateur-Level zu verlassen. Diesen Traum habe ich mir mit viel Geduld und Übung erfüllt. Seit langem backe ich für meine Nachbarn und Freunde, fahre durch die ganze Stadt und bringe meine Backkunst unter die Leute, mache mir einen Namen und den anderen eine Freude. Ich habe umfangreiche Erfahrung und kreative Ideen und möchte hier mein eigenes Geschäft aufbauen. Dabei ist die Bürokratie, in meinem Fall die Handelskammer, meine größte Herausforderung: Ohne Abschlüsse, Zertifikate oder Graduierungen ist es in Deutschland nicht leicht etwas aufzubauen, ein Geschäft zu gründen. Meine zehnjährige Erfahrung wird oft als nicht ausreichend bewertet. Also muss ich sicherstellen, dass ich es auf die für die Behörden richtige Art und Weise angehe.
Es ist mir wichtig, Berlin etwas zurückzugeben, nachdem die Stadt mir so viel gegeben hat. Ich fühle mich wohl hier, da ich das Gefühl habe, hier sein zu können wer ich bin und dass sich niemand daran stört. Diese Form von freier Entfaltung hat mich zu dem werden lassen, der ich heute bin und dafür bin ich sehr dankbar.
Meine Bass-Gitarre, die mich von Israel bis nach Berlin immer begleitet hat, hat eine besondere Bedeutung für mich. Ich liebe dieses Instrument und würde es nie verkaufen. Auch wenn ich sie nicht mehr spielen sollte, würde ich sie immer pflegen. Sie wird mich immer begleiten. Ich denke, sie erinnert mich daran, wer ich bin. Ich liebe es, Musik zu machen, interessante Gespräche und Bekanntschaften zu machen – zu performen. Berlin gibt mir dafür die perfekte Bühne.
Typisch deutsch empfinde ich, dass es hier relativ wenige Grauzonen gibt. Alles muss am besten klar definiert sein, so ist mein Eindruck.