Ich heiße Ahmad und bin 1998 in Damaskus in Syrien geboren. Die ersten 12 Jahre meines Lebens habe ich in Frieden gelebt. Dann begann der Bürgerkrieg in Syrien. Es hieß, die Proteste sollten friedlich sein, bis dann doch Waffen ins Spiel kamen.
2012 machte ich meinen Hauptschulabschluss. Teile meiner Prüfungen musste ich unmittelbar nach einer Nacht mit Raketenangriffen ablegen.
Meine Eltern wollten, dass ich, wie mein Bruder, nach Deutschland fliehe. Aber ich wollte meine Freunde nicht zurücklassen. Was meine Meinung dann geändert hat, war eine Situation, in der ein guter Freund aus der Kindheit neben mir im Schulbus bei einer Ausweiskontrolle erschossen wurde. Ich durchlebte damals viele traumatisierende Situationen. Einen Raketenbeschuss meiner Schule, kurz nachdem ich das Gebäude verließ; das Leben direkt zwischen den Frontlinien, die streng autoritäre Schulerziehung... Es fühlte sich an wie, entweder ich bleibe und sterbe oder gehe und lebe.
Als ich 15 war begann meine Flucht nach Deutschland. Zunächst über den Libanon in die Türkei. Mein Leben fühlte sich wie ein Albtraum an. Ein Schlepper, der 13.000 € dafür verlangte, sollte mich mit einer größeren Gruppe über die türkisch-bulgarische Grenze bringen. Immer wieder scheiterten diese Versuche und wir wurden von Bulgarien zurück in die Türkei gezwungen. Wir wurden dabei bestohlen, bedroht, geschlagen, von Hunden gejagt und von Polizisten beschossen.
Über viele sehr strapaziöse und gefährliche Umwege, fand ich letztlich einen Schlepper, der mich und andere über die griechisch- bulgarische Grenze brachte. Wieder wurden wir von der Polizei aufgegriffen und dieses Mal in ein Gefängnis gebracht. Ich kann nicht sagen wie lange genau ich dort war. Vielleicht ein Monat. Ein Monat, an dem wir jeden Tag geschlagen wurden. Als ich kurz davor war, meine Hoffnung und den Willen zu leben zu verlieren, kam mein Bruder. Ich habe einfach nur geweint, bin auf ihn zugerannt und habe ihn angefleht, mich dort raus zu holen. Er half mir mit einem Übersetzer an ein Gerichtsverfahren zu kommen. So kam ich in ein Asylheim. Von dort floh ich wenige Zeit später, weil ich nicht in Bulgarien bleiben, sondern zu meinem Bruder nach Deutschland wollte. Mit weiteren Kontakten zu Schleppern gelangte ich zunächst per Schlauchboot nach Rumänien.
Dort waren wir ein paar Tage in einem Haus mit vielen Leuten, bis es eines Tages an der Haustür klopfte und ich durch den Spion eine Frau und zwei Polizisten sehen konnte. Es war klar, dass ich mich jetzt hier auf keinen Fall erwischen lassen durfte. Ich bin aus dem Fenster gesprungen, konnte fliehen und rief den Schlepper an, dass er mich abholt. Dann ging alles schnell. Ganz klein zusammengerollt, in den Sitzen eines Autos, gelangte ich nach Österreich. Mein Beine waren taub bei der Ankunft und ich konnte kaum laufen. Von dort aus kam ich weiter nach Nürnberg in Deutschland, zu einem Freund meines Vaters, bis dann mein Bruder kam.
Nach drei Tagen in Deutschland stellte ich einen Asylantrag und kam nach Cadolzburg. Mit 50 anderen Jugendlichen, schliefen wir auf Matratzen auf dem Boden einer Kirche. Wir hatten dort keinerlei Beschäftigung, wurden angeschrien; die Security die abends kam, hat uns schlecht behandelt und nur Deutsch mit uns gesprochen, was wir zu dem Zeitpunkt noch nicht verstehen konnten. In der Zeit bekam ich eine Vormundschaft zugewiesen, mit der ich sehr unzufrieden war. Wir haben uns oft gestritten. Ich kam nach Oberfranken/ Herscheid in eine Wohngruppe. Nach einiger Zeit wurde mein Asylantrag bestätigt und ich erhielt meinen Ausweis und einen Aufenthaltsstatus. Danach beantragte ich umgehend den Familiennachzug meiner Eltern.
Nach einem Streit mit einem Betreuer, der mir meinen Pass und Ausweis nehmen wollte, habe ich mein Zimmer fast komplett zerstört, woraufhin mein Vormund mich anrief und aufforderte, die Wohngruppe zu verlassen. Mein Vormund wollte mir klarmachen, dass ich eben ein Ausländer sei und die würden Fehler machen – sie dagegen, die Deutschen, hätten immer Recht. Doch auch diese schlechte Erfahrung, ließ mich nicht aufgeben. Ich fand einen neuen Vormund und kam in eine neue Wohngruppe. Nach weiteren Komplikationen, fand ich eine Wohnung für meine Eltern, welche 2016 nach Deutschland zogen. Diese Wohnung bezogen wir dann gemeinsam: meine Eltern, meine Schwester,mein jüngerer Bruder und ich.
An diesem Punkt begann ich mein Leben neu zu planen und besuchte Sprachkurse. Ich hatte zu dieser Zeit eine Freundin in Bamberg, deren Mutter Deutschlehrerin war und sich verständnisvoll und sehr lieb um mich gekümmert hat. In Bamberg besuchte ich 1,5 Jahre eine Wirtschaftsschule und arbeitete nebenbei als Pizzakurrier. Ich erlebte oftmals rassistische Situationen in Polizeikontrollen. Einmal musste ich 15 Sozialstunden leisten, weil ich Fahrradgefahren bin ohne in die Pedale zu treten. Nicht zuletzt wurde ich nach einer weiteren Kontrolle und falscher Verdächtigung von der Schule verwiesen. Ich konnte die Situation dort damals nicht mehr aushalten und nachdem ich einen Platz im Rahmen eines FSJ (Freiwilliges Soziales Jahr) fand, zog ich in ein Hostel nach Berlin. Die FSJ-Stelle half mir eine Wohnung zur Untermiete zu finden. In dem ersten Jahr habe ich dann in 9 Wohnungen gelebt, bis ich bei einem Freund eine Minijob-Stelle in seiner Marketingfirma erhielt. Dort lernte ich meinen neuen Mitbewohner kennen, mit dem ich jetzt seit 4 1⁄2 Jahren wohne. Im Jahr 2020 begann ich meine Ausbildung zum sozialpädagogischen Assistenten und befinde mich derzeit berufsbegleitend im dritten Semester in einer Erzieherausbildung. Für Ende Oktober 2023 habe ich endlich einen Termin für eine Traumatherapie bekommen. Zu dem größten Teil meiner Freunde und meiner sehr großen Familie habe ich mittlerweile kaum bis keinen Kontakt mehr. Meine ehemaligen Freunde empfinden mich, wegen der Flucht, als Verräter. In Berlin fühle ich mich aufgrund der kulturellen Vielfalt sehr beheimatet und erlebe im Gegensatz zu Bamberg kaum Rassismus. Das weitere Erlernen der deutschen Sprache ist mir wichtig. Radio und Hörspiele helfen mir sehr dabei. Ich fühle mich hier sehr wohl und sicher, was auch an meinem Freundeskreis liegt und vermisse hier tatsächlich nichts. Ich fühle mich hier zu Hause und empfinde mich als Teil der Gesellschaft. Das Leben einfach leben zu können, wie man es will; tun und lassen können was man will bedeutet für mich Glück. Das habe ich hier gefunden. Frieden macht die Welt für mich zu einem besseren Ort, da ich den Krieg in meiner Heimat, die Gefahren von Flucht und Vertreibung persönlich erlebt habe.